Die Krokoledertasche
Hier die Geschichte eines Erwachsenenspielzeugs: Meine Mutter hat von ihrem zweiten Ehemann mal eine Krokoledertasche geschenkt bekommen. Diese war antik und stammt aus seiner Familie. Sie trägt sie stolz zu besonderen Anlässen. Zum Beispiel zu den Konzerten der Berliner Philharmoniker, sie hat dafür ein Abonnement. Eines Tages rief sie mich an und war recht geknickt. Nach einer Veranstaltung war vom Schließmechanismus ein Beschlag verlorengegangen. Sie war wild in Berlin herumgewieselt, konnte aber keinen Täschner oder Feintäschner finden, der ihr irgendeine Hoffnung machen konnte, daß das Schmuckstück wieder zu reparieren sei. Dies erzählte sie mir etwa ein Vierteljahr lang bei unseren Telefonaten, so daß ich ihr (wohl endlich) vorgeschlagen habe, die Tasche doch mal mitzubringen. Und so brachte sie ganz zufällig beim nächsten Besuch eine Krokoledertasche mit, bei der ein Beschlag verloren gegangen war. Oh, welch eine Überraschung. Eine Suche im Netz nach Beschlägen verlief gänzlich negativ. Da der verlorene Beschlag nochmal verbaut war, habe ich ihn ausgebaut, vielleicht kann ich ihn nachbauen. Hmm, interessant, die Leute seinerzeit müssen mächtig Zeit gehabt haben und einen Qualitätsanspruch, der seinesgleichen sucht. Das Ding besteht aus zwei gelöteten Kästen, einer für das Oberteil, an dem die Zunge befestigt ist, der andere, in dem der Schieber geführt wird, selbstverständlich mit einer Feder und einem Stift fixiert.
Da ich im laufenden Jahr eigentlich auch noch andere Termine wahrnehmen wollte, kam somit ein Nachbau nicht in Frage. Also was tun. Ich entschied mich, einen Bluff zu bauen. Basis dafür war 5mm und 3mm starkes Messingblech, das auf die Größe des ursprünglichen Beschlages gesägt wurde. In das 5mm Blech wurde längs eine Nut eingefeilt, in die ein Kupferdraht mit 2,5qmm Querschnitt eingelegt wurde. Dann wurde das Ganze mit einem 300W-Lötkolben weich verlötet. So hatte dieser nach dem Verbinden von Regenrinnen vor 10 Jahren auch mal wieder etwas zu tun. Nachdem das Werkstück und meine Finger abgekühlt waren, bekam das obere Blech seine Rundung gefeilt und beide Klötzchen wurden mit einer feinen Feile geschlichtet. Da der Draht mit den Messingteilen anschließend noch vernickelt werden sollte, dachte ich mir, soviele Vorarbeiten wie möglich zu erledigen. Also an der Drehmaschine polieren. Unterschiedliche Bürsten, unterschiedliche Schleif- und Polierwachse. Viel Zeit , bis beide Klötzchen glänzten, wie...(der weitere Teil des Zitates ist heute politisch nicht mehr korrekt, aber Sie wissen, was ich meine). Nun galt es, einen Galvaniseur zu finden, der das Teil glanzvernickelt. Selbstverständlich ist das nicht einfach, da mein Auftrag ja etwas kleiner ist, als 2 Millionen Spezialschrauben zu veredeln. Aber haben wir nicht diesen Betrieb in unserer Stadt ? Also eingepackt und hin. Ach, sie veredeln alles galvanisch, aber vernickeln tun sie nicht ? Rücksturz zur Erde, kurz betrübt. Wo sind die Gelben Seiten ? Der nächste Betrieb; kurz besprochen, was Not tut. Ja, wir vernickeln auch. Bei Kleinaufträgen berechnen wir mindestens 70€, auch wenn keine Vorarbeiten notwendig sind. Schluck, die Knie gaben nach, wünschte einen schönen Tag und taumelte nach draußen. Beim dritten Betrieb; eine Dame riet mir, mit dem Teil vorbei zu kommen, was ich auch tat. Wie, keine Vorarbeiten ? Lassen Sie das da, wir hängen es dazu, morgen können Sie es abholen. Heureka. Es geht voran. Am nächsten Tag stand ganz zufällig eine Rollertour an und ich konnte ein einwandfreies, vernickeltes Werkstück abholen. Der Tarif war eine Spende in die Kaffeekasse und die Dame bekam noch ein Glas selbstgemachte Marmelade von meiner Besten von Allen für Ihre Freundlichkeit.
Anschließend wurden die beiden Beschläge montiert ( die Aufnahmen mußten noch vorsichtig auf den Drahtdurchmesser aufgebohrt werden), die Tasche poliert, ordentlich verpackt und ein Paket ging Richtung Berlin. Und da DHL recht schnell ist, bekam ich am folgenden Tag einen begeisterten, langen Anruf. Na, das war es doch wert.